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Dr. Stephan Bücker – Recht auf Vergessen

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„Nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern“ vs. „das Internet vergisst nie“

Wann gilt das „Recht auf Vergessen“ für den Verursacher eines tödlichen Unfalls?

Liegt ein tödlicher Unfall bereits einige Zeit zurück, hat der Verursacher unter gewissen Umständen einen Anspruch gegen Zeitungen und Verlage auf Löschung seines Namens. Der europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat hierfür in seiner Entscheidung zwischen dem Persönlichkeitsrecht und dem Recht auf Äußerungs- und Pressefreiheit abwägen müssen. Die Entscheidung fiel für das Persönlichkeitsrecht aus – genauer gesagt ging es um das Recht auf Vergessenwerden. Das im Fokus stehende Problem: Nachrichten und verfasste Zeitungsartikel verschwanden früher schneller in den Köpfen der Leser; ist heute jedoch einmal was im Internet, verschwindet es so schnell nicht mehr.

So erging es einem belgischen Arzt. Der Verursacher eines tödlichen Unfalls konnte mit den tragischen Ereignissen aus der Vergangenheit eigentlich abschließen. Er wurde verurteilt, verbüßte seine Strafe und an den Artikel aus dem Jahr 1994 erinnerte sich sicher keiner mehr so einfach. Doch die belgische Tageszeitung Le Soir begann im Jahre 2008 ihre ehemaligen Artikel und Beiträge in ein Onlinearchiv einzupflegen. Alle längst vergessenen Geschehnisse sind somit durch Suchmaschinen auffindbar und frei zugänglich.  Der Unfallverursacher fühlte sich in seinem Persönlichkeitsrecht durch diese Stigmatisierung verletzt und klagte. Die belgischen Gerichte gaben ihm in allen Instanzen Recht. So einfach ließ der Chefredakteur der Le Soir die Entscheidungen aber nicht auf sich sitzen und machte seine Rechte aus Art. 10 EMRK gegenüber dem EGMR geltend.

Stärkung des Persönlichkeitsrechts durch das „Recht auf Vergessen“

Im Fokus der Entscheidung stand jetzt die Frage, nach welchem Zeitraum müssen sich vor allem unbekannte Personen nicht mehr aufgrund vergangener Geschehnisse stigmatisieren lassen. Problematisch für betroffene Personen ist, dass durch Dritte veröffentlichte Daten nicht so unkompliziert gelöscht werden können. In der Grundsatzentscheidung des BVerfG „Recht auf Vergessenwerden I“ wurde das Persönlichkeitsrecht für solche Fälle gestärkt. Unbestritten besteht grundsätzlich solch ein Recht auf Vergessenwerden. Die Frage ist jedoch, ob es hierfür einen konkreten Zeitraum gibt. Im Einzelfall kann jedoch trotzdem die Äußerungs- und Pressefreiheit überwiegen und das Persönlichkeitsrecht muss zurücktreten. Eine Abwägung unter Berücksichtigung der individuellen Umstände ist somit unentbehrlich.

Besonders wichtig für die Interessenabwägung: Die einzelnen Umstände des Falls

Wichtige Kriterien für diese Interessenabwägung können das Interesse der Öffentlichkeit, der Wahrheitsgehalt der Informationen und die Bekanntheit der Person sein. In dem vom EGMR zu entscheidenden Sachverhalt war der seit dem Ereigniseintritt schon vergangene Zeitraum ein maßgebliches Abwägungskriterium. So kann nach ein paar Jahren der Name unkenntlich gemacht werden, sofern der Artikel auch ohne diesen noch ausreichend Informationen über das Ereignis verfügt. Die Frage ist: „Wann ist genug Gras über eine Sache gewachsen?“. Die Entscheidung des EGMR macht deutlich, dass eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegen kann, je länger das Ereignis zurückliegt. Die Informationen über den genauen Namen spielt nach Ablauf der Zeit dann keine Rolle mehr. Einen genauen Zeitraum hat der EGMR allerdings nicht festgelegt. Hier bedarf es stets einer Einzelfallbetrachtung.

Praxisbeispiele: Persönlichkeitsrecht vs. Meinungs- und Pressefreiheit

Die Caroline von Monaco Urteile: 1994 klagte Caroline von Hannover vor den deutschen Gerichten gegen Paparazzi-Aufnahmen. Auf diesen waren ihre Kinder und eine Dritte Person bei privaten Unternehmungen zu sehen. Die Entscheidung ging ebenfalls bis vor den EGMR. Der EGMR warf letztlich die gesamte deutsche Rechtsprechung über den Haufen. So wird seit 2004 von absoluten und relativen Personen der Zeitgeschichte abgesehen und es kommt immer auf eine Interessenabwägung beider gegenüberstehender Rechte an.

Vorgänger der Caroline Urteile: „die Herrenreiter-Entscheidung“. Ein angesehener Herren- bzw. Dressurreiter wurde bei einem öffentlichen Wettbewerb fotografiert. Soweit unproblematisch, jedoch wurde eines der Bilder ohne Zustimmung für eine Werbung von potenzfördernden Präparaten genutzt. Durch die Darstellung wurde das Recht auf persönliche Ehre des Abgebildeten verletzt. Hier trat das wirtschaftliche Interesse des Werbetreibenden eindeutig zurück.

Fotografien hinter Gittern: Ein Insasse des Strafvollzugs würde für die Veröffentlichung eines Buches interviewt und mit seiner Einwilligung auch fotografiert. Jedoch war für ihn nicht klar, dass seine Bilder auch für einen Bericht über Aids im Gefängnis genutzt wird. Die weitere Verwendung der Bilder wurde nicht von seiner Einwilligung abgedeckt und verletzte somit sein Persönlichkeitsrecht.

Die Böhmermann-Affäre: Ein Beitrag für das Neo Magainze Royal sorgte im Jahr 2016 für Aufruhr rund um Jan Böhmermann und den türkischen Präsidenten Recep Erdoğan. Im Fokus stand allerdings nicht die Abwägung zwischen der Verletzung des Persönlichkeitsrechts und der Meinungsfreiheit, sondern die Frage, ob überhaupt eine Meinung vorliegt oder es sich um eine Schmähkritik handelt. Die Schmähkritik, welche in aller Regel nur auf die Herabwürdigung einer Person zielt, ist nicht von der Meinungsfreiheit geschützt und es kommt gar nicht erst zu einer Abwägung.

Dr. Stephan Bücker, Medienanwalt, Unternehmer und Dozent

Dr. Stephan Bücker, LL.M.

Medienanwalt, Unternehmer & Dozent an der TH Köln

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